Next time Säxit?
Wir sind im Skoutz-Team eine bunt gemischte Truppe, die vom Süden bis zum Norden, in Ost und West verstreut sitzt und wirkt. Aus diesem Grund sehen wir mit Sorge, wie im Augenblick auch in der Buchwelt mit unliebsamen Meinungen umgegangen wird.
Wir haben auch Sachsen im Team, die wir als weltoffene, hilfsbereite, buchverrückte, friedfertige, knuddeltaugliche und liebenswerte Freunde und Kollegen kennenlernen durften und schätzen. Warum wir euch das sagen? Weil es plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist. Und darüber machen wir uns Gedanken.
Bücher und Meinungsfreiheit
Das Debakel begann mit der Bundestagswahl. Oder eher mit ihrem Ausgang. Da haben Trump und Brexit als Warnsignale offenbar immer noch nicht gereicht und alle noch so gebetsmühlenartig vorgetragenen Wahlappelle, dass man zu wählen hat, wen man zu wählen hat und wen auf keinen Fall, auch nicht.
Viele Leute hatten sich schon im Vorfeld Sorgen darüber gemacht, dass die AfD in den Bundestag einziehen könnte, aber nicht im Traum daran geglaubt, dass gleich 12,6% aller (!) deutschen Wähler für sie stimmen.
Am höchsten war der Zuspruch in Sachsen. Gleich 27% aller Wähler stimmten für die Alternative für Deutschland. Ein Aufschrei ging durch die Medien! Wie können die nur?! Dabei wurde aber völlig ausgeklammert, dass eben 73% aller Sachsen keine AfD gewählt haben. Und auch, wie sich diese 73% gerade fühlen.
Nun wirken sich die politischen Grabenkämpfe auch mittlerweile auf die Buchwelt aus, die sich in diesen Tagen ungewöhnlich politisch gibt. Und das ist auch Anlass für Skoutz, diese Entwicklung zu thematisieren.
Betroffenheit, Beschimpfungen, Boykott
Nachdem am Montag die Wahlergebnisse bekannt worden, begann auch sogleich das fröhliche Sachsen-Bashing in den sozialen Medien. Am Dienstag sagte das Bundesamt für magische Wesen, eine bei Fantasy-Fans beliebte Organisation aus Bonn, ihre Teilnahme bei der Leipziger Buchmesse ab. Die Absage wurde damit begründet, dass man sich in Sachsen, wo jeder 4. oder 5. Wähler die “neuen Nazis“ gewählt hätte, unbehaglich fühlen würde. (Die Presseerklärung zum Boykott der Buchmesse könnt ihr hier nachlesen.)
Nun, keiner soll sich genötigt fühlen, an einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der er sich nicht wohl fühlt. Wenn das aber öffentlich mit Argumenten begründet wird, die so vom Ergebnis her zusammengestellt und an der Wirklichkeit vorbei sind, dass die Technik von der AfD geklaut sein könnte, dann muss man als Sachse ebenso wie als Demokrat widersprechen.
Säxit oder Leipzig den Nazis?
So ist zunächst die Leipziger Buchmesse eine internationale, weltoffene Veranstaltung, bei der jedes Jahr die Literatur und die Buchwelt eines anderen Landes in den Mittelpunkt gerückt wird. Im Jahr 2015 zum Beispiel war Israel Schwerpunkt der Messe. Der israelische Botschafter S.E. Yakov Hadas-Handelsman sagte dazu, dass gerade Literatur es uns ermöglicht, ein Land wie Israel, sowie seine Geschichte, Gesellschaft und Kultur besser und tiefer verstehen zu lernen und Vorbehalte abzubauen.
Die LBM 2016 stand gar unter dem Slogan „Für das Wort und die Freiheit“, stellte sich offensiv der Debatte um Zuwanderung und Integration und setzte bewusst ein Zeichen für Menschenrechte und Meinungsfreiheit.
Ein Boykott der Messe ist kein Zeichen in die richtige Richtung, denn gerade, wenn man sich als Organisation gegen Vorurteile, Homophobie und Ausländerhass engagiert, sollte man sich dort aufstellen und offen dort Flagge zeigen, wo man diese Werte gefährdet wähnt. Ein Säxit bringt keinen weiter und wird auch das Problem nicht lösen. Leider aber ist der Leiter des BAfmW, Hagen Ulrich, gerade mehr damit beschäftigt, nun seinerseits Vorurteile aufzubauen als an richtiger Stelle abzubauen. Zumal diese Haltung, die viele teilen, auch wenn sie nicht so offen kommuniziert wird, die notwendige Diskussion darüber erschwert, warum es soweit gekommen ist und wie man aktiv mit dieser Tatsache umgeht.
Ursachenforschung statt Polemik
Wenn man in besonneneren Äußerungen herausarbeitet, dass AfD für Angst vor wirtschaftlichen und mehr noch kulturellen Veränderungen steht und für Protest gegen eine abgehobene und von der Basis der Wähler zunehmend abgekoppelten Politikerkaste, dann ist das Wahlergebnis in Sachsen, wo man aus verschiedenen gut erklärbaren Gründen vor diesen Veränderungen viel leichter Angst haben kann, als anderswo, gar nicht so erschütternd verglichen mit dem Rest der Republik. Und darum sind diese Verallgemeinerungen, für die man die AfD so verurteilt, auch auf der Gegenseite so schädlich! Das ist es, was uns so erschreckt.
So wird die Behauptung in den Raum gestellt, dass zwar die Mehrheit der Sachsen die AfD nicht gewählt hätten, sich aber auch nicht entschieden genug gegen die Populisten stellt. Da werden sämtliche Sachsen in Sippenhaft genommen und mit ein paar, den meisten Menschen unbekannten Politikern und einer Handvoll Einzelpersonen über einen Kamm geschoren, die sich homophob oder rassistisch geäußert haben oder persönlich beleidigend geworden sind. Wir wollen das nicht gutheißen oder kleinreden, aber es bleiben Einzelaussagen. Ist es nicht das, wofür man die AfD zu Recht verurteilt, wenn sie auf die Ausländerquote in der Kriminalstatistik hinweist? Dass man nicht über einen Kamm scheren darf?
Doch statt einer Auseinandersetzung mit diesen Personen werden krude Vergleiche zu korrupten, afrikanischen Staaten gezogen.
Ist Sachsen eine No-Go-Area?
Die Fakten sehen doch so aus: In Sachsen gibt es viele Einzelpersonen und Organisationen wie z.B: „Leipzig nimmt Platz“, die sich wieder und wieder gegen rechten Populismus stellen, es gibt die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLPB), die Aufklärung betreibt, es gibt Zeitzeugen, die von den Direktoren und Lehrern an die Schulen eingeladen werden und den Schülern erzählen, was sie im dritten Reich oder während der Kriegszeit erlebt haben, es werden im Rahmen des Geschichtsunterrichts Exkursionen in die Gedenkstätte Buchenwald organisiert, damit die Schüler ein Bild davon bekommen, was Faschismus und Rassismus anrichten können. Es wird sehr viel gegen Rechts unternommen.
Was einzelne Politiker oder Personen von sich geben, repräsentiert nicht die Meinung aller in Sachsen lebenden Menschen. Die Mehrheit der Sachsen möchte ganz klar nicht in einer von Hass und Angst dominierten Gesellschaft leben. Und Sachsen ist keine No-Go-Area. Man muss keine Angst haben, nach Sachsen zu fahren.
Kein Anlass für einen Säxit
Wir von Skoutz freuen uns jedes Jahr aufs Neue, nach Leipzig zu kommen. Nicht nur der LBM wegen, sondern auch weil die Abende in der Leipziger Innenstadt stets entspannt und fröhlich waren. Und als unser Skoutzstand 2015 fast unmittelbar neben dem eines bekannt äußerst rechts stehenden Magazins war, konnten wir sehen, dass dort die Gegendemonstranten deutlich in der Überzahl zu den Sympathisanten waren (einen Bericht dazu gibt es hier). Wir wünschen uns eine bunte friedliche Buchwelt ohne Gräben, gleich welcher Art.
Dafür kämpfen wir.
Auch in Leipzig.
Abschließend sei noch gesagt, dass wir ursprünglich vor hatten, über das Bundesamt für magische Wesen zu berichten, aber aufgrund der Aussagen von Hagen Ulrich davon bis auf Weiteres absehen werden. Wir halten das BAfmW an für sich für eine tolle Aktion, die der Buchwelt Farbe gibt, aber unter diesen Umständen halten wir eine gemeinsame Zusammenarbeit für ausgeschlossen. Immerhin ist Skoutz ein Magazin für Buchmenschen, ganz gleich, woher sie kommen. Intoleranz und Vorurteile sind fehl am Platz, dabei ist es egal, ob sie sich gegen Menschen oder pauschal gegen Bundesländer richten. Wer auf solch einem Trip ist, den sollte man besser einfach ziehen lassen. Vielleicht kommt er ja eines Tages wieder zurück.