Literaturnobelpreis 2017: Kazuo Ishiguro

 

Alle Jahre wieder hält die Buchwelt für einen Augenblick den Atem an, wenn aus Stockholm die Nachricht kommt, wer in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur bekommt.

2017 ist er überraschend – jedenfalls für ihn selbst – an den 62jährigen Kazuo Ishiguro gegangen.

 

Wer ist Kazuo Ishiguro?

Viele Leser fragen sich im Augenblick, wer dieser Mann eigentlich ist und welche Bücher er denn geschrieben hat.
Dabei sind einige seiner Titel bereits sprichwörtlich, allen voran: „Was vom Tage übrig blieb“, womit er den Booker Prize errang.
Genau wie „Alles, was wir geben mussten“, ist es bereits verfilmt und zwar mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrollen.
Sein Name Name lässt natürlich sofort an Japan denken, an Kirschblüten, an Hochhäuser in Tokio und an Shinto-Tempel, doch Ishiguro ist Brite, der mit seinen Eltern bereits als Fünfjähriger nach England übersiedelte. Dort arbeitete sein Vater als Ozeanograph und so wuchs der Junge im schönen Surrey auf und heiratete schließlich eine Britin. Ishiguro studierte Englisch und Philosophie in Kent und machte sich zunächst mit Kurzgeschichten einen Namen.

Das Werk von Kazuo Ishoguro

Das Aufwachsen in Großbritannien führt dazu, dass Ishiguro in einem hohen Maß die englische Literatur und Kultur hochhält, dabei aber auch sicher durch seine Beschäftigung mit seiner japanischen Herkunft ein überraschender Autor ist, über dessen Roman „Der begrabene Riese“ beispielsweise eine Leserin schreibt: „Rätselhaft und schön!“ (N. A.am 3. April 2016).
Nicht von ungefähr beschäftigen sich seine Bücher sehr oft mit der Suche nach der eigenen Identität, nach dem Verstehen der Vergangenheit und wie diese unsere Gegenwart beeinflusst. Ishiguro setzt sich mit der Geschichte Japans im Zweiten Weltkrieg auseinander und sein erster Roman erzählt vom Schicksal einer Japanerin in Nagasaki.
Vor dem Nobelpeis erhielt Ishiguro bereits zahlreiche Auszeichnungen. Ein Unbekannter ist er also wahrlich nicht und doch dachten wohl viele bei einem japanischen Namen und dem Begriff Nobelpreis eher an Haruki Murakami, einen Mann, der als Schriftsteller doch weit präsenter ist und der im Vorfeld hoch gehandelt wurde.

Was bewegt ein Nobelpreiskomitee?

So ganz wissen wir es nicht, doch hatte es ja bereits letztes Jahr mit der Preisverleihung an den widerstrebenden und sich zierenden Bob Dylan absolut überrascht. Gut daran ist, dass uns die großen Preise genau wie die kleinen in jedem Fall Bücher nahebringen, die uns andernfalls womöglich entgangen wären.
Die Begründung des Komitees jedenfalls ist sehr klar:
Er habe, so zitiert die Süddeutsche Zeitung: „… in Romanen von starker emotionaler Kraft den Abgrund unserer Illusion einer Verbindung mit der Welt aufgedeckt.“
Das klingt gewichtig. Es klingt vielleicht abschreckend.
Das sollte es nicht. Ishiguro schreibt lesenswerte Bücher – auch, wenn er den Nobelpreis gewonnen hat, was bei vielen Preisträgern erst einmal ihre nicht allzu leichte Zugänglichkeit zu bestätigen scheint.

Wie kommentiert Ishiguro selbst seine Auszeichnung?

Er reagierte zunächst mit Verblüffung und sagte dann, er hoffe, dass sie einen, wenn auch kleinen, Beitrag dazu leisten möge, die Kräfte des guten Willens und des Friedens in der Welt zu stärken.
In diesem Sinne: Lest Ishiguro!

Mehr erfährt man über ihn auf Wikipedia.

Kazue Ishiguros Bücher

Alles, was wir  geben müssen  – Leiser Horror von Kazuo Ishiguro
Ein großer Sportplatz, freundliche Klassenzimmer und getrennte Schlafsäle für Jungen und Mädchen – auf den ersten Blick scheint Hailsham ein ganz gewöhnliches englisches Internat zu sein. Aber die Lehrer, so engagiert und freundlich sie auch sind, heißen hier Aufseher, und sie lassen die Kinder früh spüren, dass sie für eine besondere Zukunft ausersehen sind. Dieses Gefühl hält Kathy, Ruth und Tommy durch alle Stürme der Pubertät und Verwirrungen der Liebe zusammen – bis es an der Zeit ist, ihrer wahren Bestimmung zu folgen.
Skoutz meint: Ein verstörendes Buch über eine Klonfabrik, in der Kinder in einem Heim wie Schrauben in einem Ersatzteillager gehalten werden. Ein Setting für einen Horrorfilm. Doch weil die Kinder ja nicht wissen, warum sie dort sind und auch gar nichts außer der Welt dieses Heims kennen, ist die Geschichte bittersüß und das Grauen nur unterschwellig hinter der naiven Lebensfreude quasi im Magen des Lesers grummelnd.

Was vom Tage übrig blieb – Historiendrama von Kazue Ishigoro

Stevens dient als Butler in Darlington Hall. Er sorgt für einen tadellosen Haushalt und ist die Verschwiegenheit in Person: Niemals würde er auch nur ein Wort über die merkwürdigen Vorgänge im Herrenhaus verlieren. Er stellt sein Leben voll und ganz in den Dienst seines Herrn. Auch die vorsichtigen Annäherungsversuche von Miss Kenton, der Haushälterin, weist er brüsk zurück. Viele Jahre lang lebt Stevens ergeben in seiner Welt, bis ihn eines Tages die Vergangenheit einholt.
Das kritische Portrait einer von Klasse und Hierarchien geprägten Gesellschaft und eine bittersüße Liebesgeschichte, erzählt von einem, der seinen Stand nie hinterfragt und der nie auch nur geahnt hat, dass er liebte.
Skoutz meint: Ein Buch, das mich sehr erschüttert hat, weil es im Prinzip die Geschichte eines vergeudeten Lebens beschreibt. Nun vielleicht nicht vergeudet, aber limitiert, gezeichnet davon, sich immer in die Norm und die Erwartung zu ducken und niemals den Kopf zu heben und eigenständig zu leben. Carpe diem, wollte ich schreien, musste aber umblättern und war ebenso erleichtert wie berührt, als dann die Vergangenheit, die für den Leser greifbar schon eine ganze Weile auf eine Gelegenheit gelauert hat, zuschlägt, und alles in Frage stellt. Doch die Antworten muss Stevens selbst finden.

Der begrabene Riese – Mittelalterliche Fantasy von Kazuo Ishiguro

Britannien im 5. Jahrhundert: Nach erbitterten Kriegen zwischen den Volksstämmen der Briten und Angelsachsen ist das Land verwüstet. Axl und Beatrice sind seit vielen Jahren ein Paar. In ihrem Dorf gelten sie als Außenseiter, und man gibt ihnen deutlich zu verstehen, dass sie eine Belastung für die Gemeinschaft sind. Also verlassen sie ihre Heimat in der Hoffnung, ihren Sohn zu finden, den sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen haben. Ihre Reise ist voller überraschender Begegnungen und Gefahren, und bald ahnen sie, dass in ihrem Land eine Veränderung heraufzieht, die alles aus dem Gleichgewicht bringen wird, sogar ihre Beziehung.

Ein gewaltiger, intensiver, spannender Roman, der uns mitnimmt auf eine so tiefgründige wie faszinierende Reise. Kazuo Ishiguros unprätentiöser und zugleich betörender Realismus macht ihn zu einem feinsinnigen Meister des Erzählens.

Skoutz meint: Die Zusammenfassung (der letzte Satz des Klappentextes) des Heyne Verlags ist eine ungewöhnliche Wortwahl für einen Fantasyroman in einem mittelalterlichen Setting, in dem sich die Protagonisten nicht nur gegen ihre eigenen Dämonen, sondern sehr handfest auch gegen Monster und den durch den dichten britischen Nebel schleichenden leibhaftigen Tod behaupten müssen. Tatsächlich aber reißt einen Ishiguro s Geschichte mit in eine Welt, deren Schicksal sich an der bis heute modernen Frage entscheidet, ob wir lieber Hinschauen oder Wegschauen wollen. Und daher kann man das Buch auch jenseits der Fantasy als geschichtsphilosophisches Gleichnis vom Vergessen und Erinnern verstehen. Schließlich sind das Ishiguros Lieblingsthemen.

Damals in Nagasaki – Historiendrama von Kazuo Ishiguro

Nagasaki, Anfang der Fünfzigerjahre: Die Zerstörungen des Krieges sind der Stadt immer noch anzusehen, doch zwischen den Ruinen entstehen bereits neue, moderne Hochhäuser. In einem von diesen lebt Etsuko, zusammen mit ihrem Mann Jiro. Während dieser verbittert versucht Karriere zu machen, kümmert sich Etsuko um den Haushalt. Unterhaltung hat sie wenig, oft steht sie am Fenster und beobachtet, wie sich die Welt um sie herum verändert. Eines Tages zieht eine Frau in die Holzhütte unten am Fluss ein, zusammen mit ihrer kleinen Tochter. Etsuko freundet sich mit den beiden an und muss bald feststellen, wie ihre Nachbarin über ihrem Traum vom Glück mit einem amerikanischen Soldaten mehr und mehr ihr Kind vergisst.
Skoutz meint: Ishiguro ist in der Fremde aufgewachsen und hat sich seine japanischen Wurzeln tatsächlich erst in seinen Werken, sozusagen schreibenderweise wieder erarbeitet. Sowohl in seinem Erstlingswerk (A Pale View of Hills, 1982) – Damals in Nagasaki – als auch in späteren Büchern, beschreibt er ein im Spannungsfeld zwischen Verdrängen und Erinnern von Verlustängsten geprägtes Japan, das ein eher persönliches als historisches ist. Ähnlich rechnet er dann in „Was vom Tage übrig blieb“ auch mit der englischen Geschichte ab und der aus diesen Erlebnissen heraus entstandenen brittischen Identität.

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