LBM20 – Solidarität vs. Standesdünkel
Die LBM20 wurde abgesagt. Eine Katastrophe für die Branche, die tapfer versucht, gemeinsam Lösungen und Alternativen zu suchen.
Gemeinsam?
Naja, nicht direkt. Die Messe selbst, die sich als Koordinator dieser Bemühungen anböte, arbeitet lieber elitär.
Im Einzelnen:
„Die LBM20 fällt nach langem Bangen doch dem Corona-Virus zum Opfer.“
Als am Dienstag Mittag diese Nachricht der Leipziger Volkszeitung* aus durchs Netz ging, war die Buchwelt erschüttert. Manche waren am Boden zerstört, manche waren froh, weil die Entscheidung vernünftig war. Aber alle waren sich einig, dass es ein schwerer Schlag für die ohnehin gebeutetelte Buchbranche ist. Speziell für die vielen Kleinverlage und Self-Publisher, deren Teilnahme die Leipziger Buchmesse in Abgrenzung zur viel größeren und bekannteren Frankfurter Buchmesse seit langem zu einem vielfältigen und publikumswirksamen Erlebnis macht.
Nach diesem Schreckmoment waren plötzlich Panikmache und Virenleugnen überhaupt kein Thema mehr, denn was dann geschah war so unglaublich, dass wir gar nicht dazukamen, euch mitzuteilen, dass die LBM ausfällt.
Jammern gibt’s nicht. Solidarität und Zuversicht!
Die Indie-Szene rückte zusammen und organisierte, noch bevor die LBM auch nur auf ihrer Homepage die längst durch alle Medien verbreitete Nachricht vom Messe-Aus bestätigte, Alternativmaßnahmen. Ein optimistischer Versuch, das wirtschaftliche Fiasko, dass die kurzfristige Absage der LBM20 für viele bedeutete, bestmöglich abzumildern.
Mit der Aktion #bücherhamstern, die Grit Richter von Art Skript Phantastik ins Leben gerufen hat, riefen die Indies schwarzhumorig dazu auf, das Geld, das man auf der Messe nicht ausgibt, in Bücherkäufe (auch) in den Onlineshops der (Klein-)Verlage zu investieren, denen so geholfen werden kann. Die Presse* sprang an. Das Netz summte und für einen kleinen Augenblick sah es so aus, als wäre alles halb so schlimm und gemeinsam könne man auch großes Unglück überwinden.
Da wurden noch am selben Tag mit #LivestattLeipzig Online-Lesungen organisiert, technischer Support geboten. Unzählige Buchblogs erboten sich, entsprechende Beiträge zu verfassen, zu teilen oder bei der Organisation zu helfen. Auch Skoutz gründete auf Facebook eine Gruppe, in der man sich für Projekte zusammenfinden konnte. Gleichzeitig wurden viele solcher Gruppen ins Leben gerufen. Auch Offline wurde Ersatz geschaffen. So öffnet u.a. der Sternensand-Verlag seine Tore für eine Verlagsparty*. Die Queer Book Fair zauberte sogar in Windeseile am 14.03. eine Ersatzmesse im Ibis Leipzig City Hotel .
Gemeinsam …
Doch statt nun zu konkurrieren, sprach man sich ab, verengte das individuelle Angebot, verteilte Aufgaben, empfahl sich gegenseitig. Für geplante Veranstaltungen wurde Ersatz gesucht, Lesungen umgeleitet, Ersatzorte gefunden. Die Fakriro organisierte in Windeseile eine Online-Version der Autoren- und Verlagsstände. Skoutz begann in seiner Gruppe Termine und Veranstaltungen zu sichten, zu sortieren und so aufzubereiten, damit pünktlich zur LBM20 ein SAKL – ein Skoutz-Alternativ-Kalender zur LBM zur Verfügung steht. Jeder war willkommen, jeder durfte und darf sich eintragen. Die Links sind am Ende des Artikels.
„Es ist stressig, es ist schwierig, aber wir machen jetzt einfach das Beste daraus. Ein kleines Frühlingsmärchen …“
Und die LBM?
Natürlich kontaktierten wir auch die Messeleitung.
Mary Cronos und Sabrina Schuh von Fakriro führten Telefonate mit der Messeleitung, stellten das Konzept vor, warben um ein Miteinander … und kassierten eine Abfuhr! Man kenne sie nicht (obwohl sie doch auch Aussteller, aktive Teilnehmer waren), man habe kein Vertrauen. aber reichlich andere Angebote.
Wir betonten, dass es hier nicht um Alternativen, sondern um ein Miteinander ginge. Natürlich, denn es ist utopisch anzunehmen, irgendjemand könne allein in so kurzer Zeit adäquaten Ersatz für soviele Menschen – Aktive wie Besucher – schaffen.
Dennoch postete die LBM in den auf die Absage folgenden Tagen auf ihrer Homepage*, dass es keinerlei Ersatzveranstaltungen gebe, aber man sich auf ein Wiedersehen in 2021 freue. Und das, obwohl bereits hinter den Kulissen sehr wohl an einer Alternative gearbeitet worden sein muss.
Denn am Samstag kam die Meldung* – wieder über die Presse und nicht über die Messe – dass die LBM stolz eine Ersatzveranstaltung zusammen mit ARD, MDR und DLF plane und die Messe ins Internet, Fernsehen und Radio verlege.
Jubel für die gebeutelten Aussteller?
Weit gefehlt. Denn dieses von der LBM breitbrüstig gefeaturte Angebot dient nur den Branchengrößen. Millionenschweren Publikumsverlagen und Bestsellertiteln, die ohnehin jeder kennt und die keine Messe brauchen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Kein Wort davon, dieses Angebot auch jenen zukommen zu lassen, die auf Unterstützung in dieser schweren Stunde dringend angewiesen wären. Und auch kein Wort darüber, dass diese Veranstaltung bei weitem nicht die Einzige ist, weil eben sehr viele längst zur Selbsthilfe gegriffen haben. Mit einer erschreckenden Geringschätzung gegenüber zahlenden Kunden und den Interessen des Messepublikums zeigt die Messeleitung, wer letztlich für sie wichtig ist und wer nicht. Die Cosplayer und ihre genialen Kostüme, die Kleinverlage, die Selfpublisher, die Künstler mit ihren herrlichen Exponaten, die der LBM seit Jahren die Treue halten und mit viel Kreativität und Liebe für Geschichten jeden Messetag zum Erlebnis auch für die jährlich getreulich wachsenden Besuchermassen machen, gehören nicht zu dem Kreis derer, um die sich die LBM jetzt bemüht.
Die haben noch nicht einmal von der Messeleitung selbst erfahren, dass der Ausstellungsvertrag nicht erfüllt wird, noch wie die Messe sich die Rückabwicklung vorstellt. Das erweckt nicht nur heute den Eindruck, als wäre man nicht wirklich willkommen. Aber selten so deutlich wie in diesen Tagen.
Gewiss kann man sagen, dass letztlich auch die ARD Aussteller auf der LBM gewesen wäre und daher nichts anderes macht, als andere vor ihr auch. Aber sie wird eben von der LBM gefeatured und über ihre Kanäle, die Anlaufstelle für das Messepublikum sind, beworben. Ein Luxus, den sie nicht nötig hätte, und der anderen verwehrt bleibt.
Corona ist vielleicht gar nicht das Problem. Schlimmer ist, wie unsere Gesellschaft auseinanderdriftet. Links gegen Rechts, Groß gegen Klein, Reich gegen Arm. Das ist in der Politik, im Alltag und im Sport so. Und offenbar auch in der Buchwelt.
Wir Buchmenschen sind friedlich und arbeiten nicht mit den Mitteln der gleichfalls von dieser „Orientierung nach oben“ frustrierten Fußball-Fans. Aber man beginnt, ihren Zorn, ihre Ohnmacht zu verstehen.
Und nun?
Vielleicht sind Krisen wie die Corona-Bedrohung immer auch eine Chance …
Denn natürlich werden alle versuchen, die Messetage zur LBM20 online und mit coronaverständig kleinen Veranstaltungen so schön wie möglich zu gestalten. Wir werden mit unseren Mitteln versuchen, möglichst viele Menschen auf die tollen Angebote aufmerksam zu machen und zu verbinden wo andere ausgrenzen. Darum werden wir in unseren SAKL auch die großen Veranstaltungen aufnehmen und auch deren Interviews und Lesungen verlinken. Und fakriro wird auch für sie Online-Messestände bereit halten. Weil machmal keinen Unterschied zu machen, den Unterschied macht.
LBM20 – Interessenten können sich hier melden und informieren:
#OnlineLBM* – hier in dieser Facebook-Gruppe kann jeder Ersatzveranstaltungen (online/offline) melden, die während und anstelle der LBM stattfinden. Alternativ könnt ihr Events auch per Mail an federlesen (@) skoutz.de melden. Wir nehmen alle Veranstaltungen auf (Veranstalter, Veranstaltungsort, Veranstaltungstermin, Veranstaltungsart und Genre für eine Interessensortierung)
#LBMreloaded* / Gemeinsam #LBM20-Ersatz schaffen – diese Facebookgruppe ist der Pool, in dem sich alle sammeln, die an der Onlinemesse teilnehmen wollen und einen virtuellen Stand haben wollen. Die fakriro arbeitet auf Hochtouren und stellt dort auch Links zu weiterführenden Informationen zur Verfügung. Die Homepage findet ihr unter www.fakriro-online.de*
LBM Verkaufsgruppe* – diese FB-Gruppe bietet einen Marktplatz, auf dem Autoren und andere Künstler ihre Messeartikel online verkaufen können. Vorbeischauen lohnt sich, es sind tolle Angebote dabei.
LitFair Onlinebuchmesse – Hier soll – beginnend mit den LBM-Terminen – eine dauerhafte Online-Alternative mit vielen interessanten Angeboten aufgebaut werden.
Es lohnt sich, auch die Aktionen vieler Blogs zu beobachten, die wirklich mit innovativen, verrückten, tollen, ausgefallenen, bunten Aktionen das Buchfest an Corona vorbei retten wollen. Weil die Leidenschaft für Bücher nicht zwischen den Buchdeckeln bleibt.
7 Comments
Anika
Toller Artikel. Den ich gleich mal teilen werde. Lg Anika von Moonie’s Welt
Petra Berger
Das ist leider immer wieder die traurige Wahrheit und in anderen Branchen nicht anders. Die Kleinen sind die Verlierer. Und wenn ich dann sehe, dass meine Schwägerin zu einem Fußballspiel nach Berlin fährt mit 50.000 Zuschauern, kann ich nur den Kopf schütteln. Aber die Eishockey WM der Frauen wird abgesagt und niemanden interessiert es. Die haben eben keine Lobby. Wir fahren nach Leipzig und werden die schöne Stadt erkunden, nette Menschen treffen und die ein oder andere Lesung besuchen, die stattfindet. Starke Frauen in der Phantastik mit Anja Bagus, im Drachenwinkel Kaffee und Kuchen abholen und Samstag zu Kai Meyer. Es gibt noch vieles zu sehen. Ich finde das Engagement von Skoutz und den vielen Blogger total toll und kaufe meine geplanten Bücher jetzt online bei den Kleinverlagen. Drei sind schon da. ich hoffe, das machen noch ganz viele. Und das TTT Thema nächste Woche gibt sicher nich viele Tipps.
A.W.Benedict
Ein guter Artikel, der zeigt, was Menschen auch abseits vom Kommerz erreichen können . Ich als Selfpublisher sehe da eine riesige Menge Ideen und
Aktionen, die mir Mut machen. Traurig waren wir, ob SP, Blogger, Leser oder Verlagsautor ( plus – innen) ,Verluste gibt es zuhauf, das kann ich unumwunden sagen. Ich hatte mich in diesem Jahr sehr intensiv vorbereitet. Aber ich schau voran und freue mich sehr über die vielen tollen Aktionen. Ich selbst werde am 14.3. auf Instagram eine kleine Lesung aus meinem neusten Krimi machen.
Vielen Dank für den sehr interessanten Beitrag, den ich mit viel Interesse gelesen habe.
Taaya
Huhu,
toller Artikel. Aber ich muss zugeben, ich finde es schade, dass sich das alles so auf Facebook konzentriert. Gerade die Buchbloggerbubble ist in den letzten Jahren konzentriert von Facebook runter und zu Twitter gewandert und auch die Autorenbubble ist da größer. Dort wurde die OnlineLBM schon Tage vor Absage begonnen, weil manche aus gesundheitlichen oder familiären Gründen nicht hin konnten, aber dennoch ein bisschen Messefeeling für Daheimgebliebene erzeugen wollten. Dass man jetzt doch wieder bei Facebook sein muss, um die Übersicht zu behalten, oder selbst stattzufinden, finde ich da schon ein bisschen traurig. Wobei ich zugeben muss, dass zur Zeit der DSGVO Facebook vermutlich noch am Besten für ein Miteinander geeignet ist (wie und ob man Foren dsgvo-konform hinkriegt, wenn die Softwarehersteller nicht mitspielen, ist ja auch zwei Jahre später noch nicht raus und Twitter ist zu schnelllebig für eine gezielte Koordination von so vielen). 🙁
Die Reaktion der Messe selbst, macht mich aber ein wenig sauer. Wenn ich nicht eh schon aus Gründen der Behinderung eh nie auf die Messe könnte (ein Grund, warum ich mich so über die Online-Messe freue und hoffe, dass sich das auf Dauer etabliert, damit Menschen wie ich endlich nicht mehr Ausgestoßene in der Buchbubble sind), wäre das für mich ehrlich gesagt ein Grund, die zu boykottieren. Ich kann verstehen, dass die aktuell überfordert sind. Aber dann die Kleinverlage abzustoßen und nicht zu sagen „Wir haben keine Kapazitäten“, sondern hintenrum ein eigenes Alternativprogramm zu machen? Nein, geht gar nicht. Danke, dass ihr darüber berichtet.
LG
Taaya
Kay
Wir präsentieren nicht auf Facebook, sondern hier auf der Skoutz.de
Und posteten das natürlich auch auf anderen Kanälen. Aber wie du selbst sagst, mit diesem Zeitdruck konnten wir nur mit einer Facebook-Gruppe eine entsprechende Koordination eines Themas mit vielen Unterthemen hinbekommen.
Aber du kannst dich natürlich auch auf der Seite http://www.fakriro-online.de für virtuelle Stände anmelden und wenn du mir per PN deine Aktionen meldest, dann nehmen wir die auch ohne Facebook auf. Kein Thema!
Aleshanee
Das Thema LBM ist ja durch die Corona News schon fast wieder in Vergessenheit gedrängt worden, trotzdem fand ich den Beitrag hier sehr aufschlussreich und hab ihn heute gerne in meiner Stöberrunde verlinkt.
Liebste Grüße, Aleshanee
Der Büchernarr
Tatsächlich bin ich auch erstaunt, wie wenig Alternativ-Programm geboten wird. Bei anderen Messen sieht das anders aus, wo Veranstalter viele Aktionen nun ins Netz legen. Vor allem, dass die Verlage ihre Lesungen nicht online durchgeführt haben, wundert mich doch ein bisschen.
Allerdings finde auch ich es Schade, dass die Aktionen sehr FB-lastig sind, auch wenn jede Alternative zu gar nichts sehr willkommen ist 😉