RIP – Lew Rubinstein ist gestorben
Lew Rubinstein starb – so vermelden die Presseagenturen – heute überraschend mit 76 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls in Moskau.
Wir bedauern das zutiefst, denn Lew Rubinstein, war – so schreibt die FAZ in ihrem Nachruf* – vielleicht der letzte frei öffentlich tätige Intellektuelle in Russland.
Wer war Lew Rubinstein?
Doch wer war dieser Mann, dessen Namen sehr viele kennen, dessen Werk aber nicht (ich nehme mich da nicht aus)?
Nun, bekannt wurde er mit dem Erfindung einer neuen Textform: Der Karteikarten-Poesie. Dabei werden kurze Sätze oder Gedichtstrophen auf Karteikarten geschrieben. So werden Text und Medium zu einem gemeinsamen Kunstwerk.
In den 1970er- und 1980er-Jahren betätigte sich Rubinstein in der Moskauer Untergrundszene, gilt als bedeutender Vertreter des russischen Konzeptionismus.
2022 war er auch hier groß in der Presse, weil er einen Appell russischsprachiger Schriftsteller unterstützte. Dieser wandte sich an alle russischsprachigen Menschen, damit sie die Wahrheit über den Ukraine-Krieg verbreiten. Zudem kritisierte er kritisierte unermüdlich die Verfolgung von Landsleuten mit nichttraditioneller sexueller Orientierung und die Blockade kritischer Nachrichtenportale. Er verglich die Angst der Menschen in Russland mit stalinistischen Zeiten. Den Krieg und Putins Regime kritisierte er unerschrocken und mit klaren Worten, sprach von einem Delirium, in dem das Regime sich überall von Feinden umgeben wähne, die allen Russland schaden wollten. Dabei sei es „nur“ so, dass alles, was mit einer menschlichen Stimme atmet, fühlt, denkt und spricht, gegen diese Regierung wäre.
Mehr über diesen mutigen Mann und großen Literaten bei Wikipedia*.
Lew Rubinstein als Autor – Ein ganzes Jahr
Eine literarische Globalgeschichte in Kalenderform.
Kein Heiligenkalender, kein Mondkalender, kein Terminkalender, kein Jahreszeitenkalender, sondern: Ein ganzes Jahr.
Mein Kalender. 365 Tage, 365 Ereignisse, 365 Erinnerungen. 365 Möglichkeiten, diese drei Variablen miteinander ins Spiel zu bringen.
Lew Rubinstein setzt mit seinem Kalender nicht nur sich selbst der geballten Macht einer jahrtausendealten Kulturtechnik des Ordnens und Messens von Zeit aus, sondern öffnet zugleich diese Technik für eine erzählerische Intervention. Er unterzieht den Kalender einem Experiment, einer Probe auf Verlässlichkeit, wenn es an das Kerngeschäft der Aneignung von Zeit geht:
Die erzählte und sich im Erzählen erst bildende Erinnerung.
Das informelle Erzählen, das Sich-untereinander-etwas- Erzählen, wird hier zum Medium einer intensiven Auseinandersetzung über die politische Involvierung des Schriftstellers. Von Kamerun über Japan bis nach Frankreich und in die Ukraine. Von der Geburt Kopernikus’ über die Spanische Inquisition und den Kalten Krieg bis zur Gegenwart: Lew Rubinstein hat die Chronik eines ganzes Jahres geschrieben. Für jeden Tag im Jahr zwei Einträge: Ein historisches Ereignis und Rubinsteins eigene Überlegungen dazu. So springen wir mit dem großen russischen Essayisten und Lyriker durch alle Zeiten und Kontinente, werden Zeugen einer leichtfüßigen Weltgeschichte und beginnen zu verstehen, wie nah sich alles ist.
Dieser Eindruck ist natürlich geprägt von einer ganz bestimmten Perspektive: der Rubinsteins. Denn auch, wenn hier jeden Tag von wichtigen, ja weltbewegenden Ereignissen zu lesen ist, bleibt es am Ende der private Kalender des Autors. Und so kann dieses Buch auch als Geschenk an seine Leser gesehen werden.
Skoutz meint: Ein Buch wie ein Kalender. Jeden Tag ein Text. Seinem Ruf als Konzeptkünstler wird Rubinstein auch mit diesem neuesten Werk gerecht, in dem er gekonnt, informativ und oftmals wirklich witzig die russischen Tagesgeschehen mit Ereignissen der Weltgeschichte kombiniert. Was haben die Geburt von Kant oder die Erfindung des Strohhalms dem russischen Volk gebracht? (kn)
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