Zu Besuch bei Mario Steinmetz

Heute bin ich mit dem Skoutz-Kauz unterwegs zu einem lieben Autorenkollegen. Mario H. Steinmetz, der mit seinem Cyberpunk-Roman Shinigami auf der Midlist Science Fiction von Janna Ruth steht und daher natürlich

Und weil es immer sehr spannend ist, mit Mario zu plaudern, freue ich mich auch schon ausgesprochen auf diesen Besuch.

Auch der Skoutz-Kauz übrigens, der schon mal ungeduldig vorausgeflattert ist.

 

Zu Besuch bei M.H. Steinmetz, der uns in ein Cube Hotel entführt

Skoutz-Autoreninterview M.H. steinmetzHallo lieber Mario, schön, dass wir uns mal wieder begegnen. Ich hoffe, du hast ein bisschen Zeit dabei, weil wir reichlich Fragen im Gepäck haben, über die wir in Ruhe plaudern können. Was mich gleich zur allerersten Frage bringt …

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Wo sitzen wir denn, also wo willst du uns empfangen?

Shinigami ist klassischer Cyberpunk, also bitte sehr: Das Cube-Hotel.

Öhm … Okay, jetzt hast du mich geködert. Dann los. Du sagst, wo es lang geht …

Wir quetschen uns in den engen Raum eines Cube-Hotels in New Babylon in der Keeney Street.

Klär mich doch bitte erst mal auf, was ein Cube-Hotel ist. Ich Dödel dachte, das Hotel heißt so.

Cube-Hotels sind billige Automaten-Absteigen. In einem alten Backsteinbau untergebracht stapeln sich dort Schlafcontainer – die Cubes – auf waghalsig in das Gebäude eingefügten Etagen übereinander. Anstelle von Personal gibt es ein Terminal, wo man mit dem Credchip, dem persönlichen Interlink, oder mit guten alten Scheinen bezahlen kann.

Der holografische Rezeptionist bläht sich in dunklem Anzug und schwarzer Blues-Brothers-Sonnenbrille durchscheinend und flackernd vor dir zur Begrüßung auf. Sein markant-kantiges Gesicht lächelt in grober Auflösung, sodass die blonden zurückgekämmten Haare wie mit Filzstift aufgemalte Balken wirken.
»Willkommen im Torrance Cube-Hotel. Sie haben den Würfel Nummer 13. Die Duschen am Ende des Flurs sind nicht in ihrem Paket inbegriffen, können aber jederzeit durch ein Upgrade nachgebucht werden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«
Flackernd zieht sich der Rezeptionist in das feuchtglänzende Auge des Projektors zurück.

Das Cube-Hotel ist in einem desolaten Zustand. Der Boden ist dreckig, der Lack an den Wänden zerkratzt oder von obszönen Primitivzeichnungen bedeckt. Und duschen will man hier beim besten Willen nicht. Die Zimmer in Cube-Hotels waren von den Abmessungen eher mit Solarien oder Särgen vergleichbar, weshalb man sie auf der Straße Sarghotels nennt. Anstelle einer Tür gibt es ein Schott, ähnlich einem Gullydeckel und genau das ist das Problem. Versagt die hydropneumatische Steuerung, ist man darin gefangen. Fällt der Strom aus, bedeutete das Adieu Frischluftzufuhr und man erstickt im Schlaf.

Sarghotel. Stiller Abgang. Bioabfall. Das Interview wird mit Abstand das Abenteuerlichste unserer diesjährigen Tour. Haben wir wenigstens was zum Trinken dabei? Vorzugsweise was, das desinfiziert?

Billiger Seelinsen-Whiskey aus dem Automaten der Tankstelle 🙂

Dann lass uns jetzt, bevor ich zu betrunken bin, mal mit den Fragen beginnen…

Nach welchem Motto lebst du? Und wirkt sich das auch auf dein Schreiben aus?

So ein richtiges Motto habe ich nicht, gehe aber durchaus – das mag einige überraschen – positiv in jeden Tag, an jedes neue Werk. Dann vielleicht „positiv sollten Sie den Tag beginnen“ (lacht).

Ich kenne dich ja nun schon eine Weile und habe dir – ehrlich gesagt, den bärbeißigen Haudegen nie völlig abgenommen. Natürlich ist der Templer ein Teil von dir, ebenso der Horrorautor, aber eben nicht nur und nicht ausschließlich. Welcher Mario ist denn der, dessen du dir selbst am meisten bewusst bist?

Tatsächlich sehe ich mich als sehr sensiblen Menschen, der sich leicht von äußeren Einflüssen oder Äußerungen runterziehen lässt.

Das kenne ich auch. Ich versuche daher Herr meiner eigenen Gedanken zu bleiben. Wenn ich mich von Deppen runterziehen lasse, gebe ich denen mehr Macht über mich als ihnen zusteht. Das ist jetzt zwar kein Motto, aber vielleicht können wir in die Richtung eines zimmern?

Mein Leitspruch ist unter dem Aspekt „und aus deinen toten, leeren Augenhöhlen werden keine Skorpione kriechen“.

Ah ja …

Hört sich jetzt schräg an, ist es aber gar nicht. Der Satz bedeutet für mich, keine Dämonen in meinen Kopf zu lassen, ihnen das Ausbringen ihrer düsteren Saat zu verwehren. Wenn es dem Skorpion gelingt, in meinen Kopf zu kriechen, hat er gewonnen.

Wahre Worte. Schreibst du die auch auf? Oder mit anderen Worten: Ist das irgendwie die Botschaft, die du beim Schreiben vermitteln willst, oder das Thema, mit dem du dich auseinandersetzen willst?

Auf mein Schreiben wirkt sich das natürlich derart aus, das viele meiner (in aller Regel weiblichen) Protagonistinnen Probleme mit Dämonen und Besessenheit haben. Da bildet Shinigami keine Ausnahme, ist es doch eine KI, die Ghost’s Neuroprozessor fickt. Doch sie steht auf, kämpft dagegen an, um am Ende … okay, das wird nicht verraten, aber ich denke du weißt, was ich meine.

Ja, weil ich das Buch gelesen habe. Aber für alle, die das noch vor sich haben, vertiefen wir das jetzt nicht weiter. Stattdessen frage ich mal anders rum …

Was ist dein erster Gedanke, wenn ich dich frage, was du GAR NICHT magst?

Immer härter, immer schneller, immer böser.

Wie meinst du das?

Das lese ich in letzter Zeit einfach viel zu oft – regt mich furchtbar auf. Da wird die Qualität von Filmen und Büchern dahingehend bewertet, das einem schlecht wurde oder man abbrechen musste, um nicht zu kotzen. Okay, bezieht sich jetzt auf die Horror-Szene, aber dieser Trend gefällt mir überhaupt nicht, weil es einfach nichts über die Qualität eines Werkes aussagt.

Mir ist das auch schon in anderen Genres aufgefallen, da werden die Erotikszenen immer noch krasser, die Serienmörder (und die Ermittler) immer noch psychotischer, die Liebesleiden immer noch emotionaler, meinst du das? Dieses Bonus-Material in einer Geschichte, das genau genommen und handwerklich betrachtet der Plot gar nicht bräuchte?

Eine solide Story hat es schlichtweg nicht nötig, in Bezug auf Härte immer noch eine Schippe draufzulegen.

Verstehe … und wie reagierst du auf diesen Trend?

Mit Genreausflügen. Das ist bei Cyberpunk komplett anders. Hier zählt das Atmosphärische, der Stil – Style over Substance. In diesem Genre kann ich mit Worte, Gefühlen und Szenerien spielen, wie es mir gefällt und ohne den Druck zu haben, unbedingt etwas toppen zu müssen.

Da gibt es einige Genres, aber ich nehme an, das ändert sich auch wieder. Ist halt grad ein blöder Trend, aber der läuft sich irgendwann auch wieder aus. Mutprobelesen wird auf Dauer ja auch langweilig und dann sind wieder Geschichten und Atmosphäre gefragt. Spätestens wenn das Chainsaw-Massacre zum Klischee verkommen ist, was mich zur nächsten Frage bringt …

Als Klischee wird man nicht geboren, sondern muss sich den Titel erarbeiten. Wie gehst du persönlich mit ihnen um? Beim Schreiben wie im Leben?

Es gibt keine Geschichte, kein Leben, welches sich nicht bestimmter Klischees bedient. Klischees bilden ein Muster ab, ähnlich dem eines leeren Schachbretts. Es sind aber die Figuren, die man auf das Brett stellt und die eine gute Story ausmachen. Man kann beim Schreiben Klischees wunderbar benutzen, um eine Basis zu bilden, die jeder ohne viel Worte versteht, um dann den Focus auf das Surreale zu lenken, mit dem ich gerne spiele.

Also Klischees im Sinne von Basiszutaten, aus denen man dann etwas Individuelles kocht? Ups, ich merke, ich habe Hunger. Aber bleiben wir grad noch bei den Klischees. 

Gern. Aber was ist ein Klischee? Das Rednecks Whiskey saufen, dreckige Jeans tragen und Trucks fahren? Selbst erlebt in den Plains der USA. Jedes Klischee in dieser Ecke der Welt basiert auf Erlebnissen, auf Tatsachen.

Ich denke, ein Klischee ist mathematisch ausgedrückt, eine Wahrscheinlichkeit, mit der sich zu rechnen lohnt. Eine empirisch untermauerte Erwartung, die, wenn sie wertend ist, ein Vorurteil sein kann, aber auch nur eine Erfahrung, die man in sein künftiges Verhalten einfließen lässt. Natürlich gibt es auch Klischees, die – weil sich Gesellschaft wandelt – so nicht mehr stimmen und daher auch verblassen. Oder auch einfach so überreizt wurden, dass sie vielleicht in der Realität stimmen, aber in einer Geschichte nicht mehr wirken, weil sie dort langweilen.

So sieht es mit dem Bullen aus, der geschieden ist, raucht und säuft. Das ist abgelutscht ohne Ende. Dann diese ewig gleichen Ermittler-Storys oder zusammengebastelten Regional-Krimis, die immer gleich sind, einfach schrecklich.

Wenn sie immer gleich sind, gebe ich dir recht. Wobei das Vertraute ja auch von den Fans gewollt ist, dieses Gefühl, wenigstens lesend die Übersicht zu behalten. Aber bleiben wir bei den Klischees und fassen zusammen …?

Letzten Endes sind Klischees Stilmittel, denen man sich bedienen kann, um etwas mit wenigen Worten auszudrücken. Weder eine schlechte Sache noch zu verteufeln, man darf es nur nicht übertreiben 

Amen!

Du hast ja jetzt schon ein bisschen auch über Genres gesprochen, lass uns das mal vertiefen:

In welchen Genres schreibst du? Hast du dich bewusst dafür entschieden oder hast du nachher überlegt, wie du deine Geschichte einordnest?

Ich schreibe Horror und Cyberpunk, weil ich mich damit identifizieren kann. Manchmal überschneiden sich die Genres extrem, was daran liegen könnte, das Cyberpunk ein stark dystopisch düsteres Genre ist, das sich auch gerne an Bodyhorror Elementen bedient, etwaCyberware und Körpermodifikationen. So kann es durchaus vorkommen, das ich eine Cyberpunk-Story für eine Horror-Anthologie schreibe, oder umgekehrt eine Bodyhorror-Story für eine Cyberpunk-Anthologie.

Klärt sich das echt erst unterwegs?

Nein. Man sollte vor dem Schreiben einer Story schon wissen, wohin die Reise geht 

Von wem kommt deine strengste Kritik? Und wie gehst du mit ihr um?

In erster Linie von meinen Testleserinnen, die manchmal wirklich sehr streng sind und mit dem Seziermesser an meine Storys rangehen.

Passt ja zum Genre. 🙂 Aber wie meinst du das?

Man stelle sich hier einen hell ausgeleuchteten OP-Tisch vor – ohne Narkose natürlich. Aber das finde ich gut, denn als Schreiber wirst du irgendwann für die eigene Story blind und überliest so manches, was einem Erstleser direkt ins Auge (autsch) sticht. Das wird dann berücksichtig und direkt in der Story geändert.

Das stimmt wohl. Ich bin auch immer sehr erstaunt, wie oft ich Eindrücke zu meinen Betafassungen erzählt bekomme, die ich so nicht erwartet hätte. Aber klar – ich weiß, was ich schreiben will, aber nicht notwendig, was beim Lesen erwartet wird. Das macht es aber auch so spannend. Weil eben nie zwei Menschen dasselbe Buch lesen werden, auch wenn es die gleichen sind.

Und mit diesem schönen Aphorismus komme ich gleich zur nächsten Frage:

Ein Sprichwort sagt „Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.“ – Wie findest Du diesen Satz?

Ein wunderbarer Satz. Die Story in einem Buch bildet die Basis, bringt den Samen aus. Die Leserinnen und Leser gärtnern daraus ihr eigenes Universum, ihre eigene Sichtweise auf die Geschichte. Es wird keine zwei Menschen geben, welche beim Lesen eines Buches die gleichen Bilder vor Augen haben, die gleichen Empfindungen durchleben.

Meine Rede. Absolut. Passt das denn auch zu deinen Genres? Natürlich gibt es auch Bio-Horror, aber bei Cyberpunkt …?

Im Genre Cyberpunk wäre es der Cyberspace, unendlich in seiner Ausdehnung, in jede Richtung führend. Es gibt keine Grenzen, nur unendliche Möglichkeiten. Götterhimmel, die jeder neu erschafft.

Auch schön …

Mit welchem Buch wurde deine Liebe zu Büchern geweckt?

Da muss ich jetzt ganz weit zurückgehen.

Nur zu …

Damals (wie sich das anhört) spielten wir D&D. Ich glaube, das bewusste Lesen wurde bei mir dadurch geweckt, muss so Anfang der Achtziger gewesen sein. Also waren Fantasyromane angesagt, Hohlbein war damals der ganz große Renner.

Meine Cousins kamen auch über die Würfel zum Lesen. Das finde ich schön. Gerade, weil du ja auch als Spielbuchautor unterwegs bist. Interaktive Geschichten, das finde ich auch sehr spannend und würde mich darüber gern mal noch ausführlicher mit dir unterhalten. Also in einem Artikel zu diesem Spezial-Medium – Genre trifft es da ja eigentlich nicht.

Aber bleiben wir erst mal bei dir als Leser. Wie ging es dann weiter?

Später ging es dann schnell Richtung Cyberpunk mit den großartigen Büchern von William Gibson, die ich vor kurzem erst wieder gelesen habe. Sein Stil ist einfach einzigartig.

Ja, der beehrt auch sowohl die SF als auch die Dystopie-Classics bei uns. Ein Autor, den ich auch sehr verehre. Und wie kamst du dann zum Horror?

Horror begann ich erst danach zu lesen. Ketchum, Barker, die übliche Verdächtigen halt. Zahler hat mich schwer beeindruckt und meinen Stil nachhaltig geprägt.

Stimmt, jetzt, wo du es sagst, erkenne ich stilistische Parallelen. War’s das dann so an Lektüremeilensteinnen?

Ich würde sagen, die wichtigsten Bücher waren für mich:

  • William Gibson: Neuromancer, Count Zero und Mona Lisa Overdrive
  • Jack Ketchum: Evil und Beutezeit
  • S. Graig Zahler: Wie Schatten über totem Land

… und ungefähr tausend weitere (lacht)

Wir können gern mal ein Mario Steinmetz-Bücherregal machen. 🙂 Ha! Wunderbares Stichwort …

Wie sortierst du dein Buch-Regal?

Nach Genre und dann intern nach Autoren. An Deko gibt’s dann dazu passend kleine Skulpturen und Fundstücke, so zum Beispiel ein Stein aus Centralia (der Ort, der als Vorlage für Silent Hill diente) oder ein Stück Holz aus den Planken eines Schlachtschiffes, aber auch ein von meiner Tochter gebauter Traumfänger.

Schön. Ich komme auch am Alphabet nicht vorbei, da ist das verzweifelte Suchen am kürzesten. Aber lass uns mal zu Aktuellem schwenken. Gerade weil du ja sehr kritisch und differenziert unterwegs bist, bin ich gespannt, was du da zu sagen hast …

Kunstfreiheit auf dem Prüfstand
Die gesellschaftliche Diskussion über das, was man in der Kunst tun und lassen darf, ist zur Zeit sehr hitzig. Wie stehst du dem gegenüber und wie beeinflusst das deine eigene Arbeit?

Grundsätzlich eine sehr wichtige Diskussion, die längst überfällig war.

Grundsätzlich birgt ja immer eine Einschränkung …

Eine, welche die Gesellschaft extrem spaltet. Kunst sollte frei sein und bleiben, der Kunstschaffende selbst muss sich hier allerdings einer großen Verantwortung stellen und sich ständig fragen: Wie gehe ich mit Gendern und Rassismus um?

Na, das ist ja die alte Erkenntnis: Freiheit kostet Verantwortung. Insofern gilt das nicht nur bei diesen Themen, sondern bei so ziemlich jedem. Das beginnt damit, dass man lieber recherchieren sollte, wie etwas richtig geht, bevor es jemand dank meines Buches falsch macht und endet, ja, wo endet es denn?

Welchen Umgang empfiehlst du denn?

Oft ist es nur eine kleine Gruppe an Deppen, die sich über Änderungen in Büchern und Filmen aufregt. Ich persönlich bin der Meinung, dass Kunst frei bleiben muss. Kunst erfindet sich immer wieder neu, gestaltet Wege und bleibt der Gegenwart verpflichtet. Darf man also Geschichten zeitgemäß anpassen? Unbedingt, sofern damit nicht die ursprüngliche Botschaft der Story verändert wird.

Das genau ist meine Meinung. Ich habe damals das Statement des neuen Übersetzers von Mitchells „Vom Winde verweht“ (nun ohne „e“) sehr gefeiert, weil er auf den Punkt bringt, worum ich immer herumgeeiert bin. Moderne Leser verbinden mit „Neger“ andere Emotionen als ein Autor, eine Autorin vor 50 Jahren oder mehr damit ausdrücken wollte. An dieser Stelle ist es richtig und wichtig, eine Sprache zu verwenden, die der Intention gerecht wird. Zumal eine Übersetzung ja ohnehin immer etwas sinnverändernd sein wird. Das gilt theoretisch auch für die Anpassung von deutschsprachigen Klassikern. Wenn man aber das N-Wort nun generell bannen will, würde gerade das Unrecht kaschiert werden, wenn es verwendet wird, um jemanden herabzusetzen. Also in einer Landschaftsbeschreibung muss es weg, in einem Dialog muss es in den allermeisten Fällen bleiben… Welche Fragen kommen uns da noch in den Sinn?

Dürfen Rollen in Filmen vom gewohnten Erscheinungsbild abweichen? Aber ja, und mehr noch. Gerade im Film erwarte ich, dass mit Neuverfilmungen auch neue Wege beschritten werden. Ein Aufguss vom alten braucht niemand.

Jaein … da finde ich, kommt es auf die Intention an, auf die Botschaft des Films – oder vielmehr der Marke, die er transportiert. Bei der Realverfilmung eines Zeichentrickfilms, der ja eigentlich den Anspruch hat, nicht das zugrundeliegende Volksmärchen, sondern eben diesen Film in ein „anderes Medium“ zu übertragen, stört mich das. Wenn auch nicht genug, um mich darüber aufzuregen.

Wenn dieselbe Geschichte neu erzählt werden soll, wie es mit Märchen seit Menschengedenken ja schon immer gemacht wurde – nur zu! Finde ich total spannend. Wie ändert sich die Aussage, wenn man z.B. aus der Prinzessin einen Prinzen macht, oder eine andere Kultur darunter legt. Was ich deshalb auch sehr bedenklich finde, ist dieses „own voice“-Fordern, speziell wenn es dann nicht allgemein, sondern nur in bestimmte Richtungen gilt. Nicht im Grundsatz, dass man schaut, ob man nicht wen findet, der das besonders authentisch kann oder eben aus eigener Erfahrung weiß, wovon er spricht. Aber in den Austrieben, wenn man dann im Prinzip nur noch biografisch schreiben oder spielen darf. Das verkennt den Ansatz, finde ich. Wie sollst du sonst über Dämonen schreiben …?

Meine eigene Arbeit beeinflusst das nur bedingt. Der Horror-Redneck wird weiterhin das alles verachtende Arschloch bleiben. In Cyberpunk ist das alles kein Thema, denn der spielt in einer Zeit, in der es keine geistigen Grenzen mehr gibt und der gesellschaftliche Wandel bereits vollzogen wurde.

Hm… das ist jetzt eine steile These, denn in vielen Cyberpunk-Klassikern sind die Ausgrenzungen und Einschränkungen dann halt anderer Natur. Oft nicht mal das. Aber einigen wir uns darauf, dass es gerade das Schöne an der Literatur ist, dass man mit friedlichen Mitteln krasse Modelle studieren kann. Cyberpunkt befasst sich aber sehr viel mit KI – ich muss mich immer noch von dem Concierge von vorhin erholen      – wie siehst du das als Künstler?

Chat GPT und andere KI-Apps sind gerade in aller Munde. Was hältst du davon, dass KI Geschichten, ja ganze Bücher alleine verfassen kann? Sind das für dich überhaupt richtige Werke?

Dazu müsste ich eins dieser Werke lesen, um das beurteilen zu können.

Jetzt komm! Drück dich nicht. Ich will ja kein Gutachten oder Urteil, sondern plaudernderweise eine Meinung. Ganz unverbindlich und spontan.

Als alter Cyberpunker befasse ich mich schon seit langem mit KIs, was auch in Shinigami zum Tragen kommt.

Eben! Darum will ich auch über das Thema mit dir reden!

Einerseits sind Projekte wie das Blue Brain oder die Entwicklung von Neuroprozessoren faszinierend, andererseits ist das natürlich auch sehr riskant. KIs sind in der Internetgesellschaft in der Lage, die Wahrheit zu verzerren und Informationen falsch wiederzugeben.

Ja, krass. Mich hat das Wirsing-Experiment echt beeindruckt, wo ein Forscherteam der KI zusätzlich zu richtigen Informationen noch das Wort „Wirsing“ mitgegeben hat und wie verdammt echt wirkend die KI den Wirsing dann in den Kontext gebaut hat. „Goethes langjährige Geliebte Gretchen Wirsing wurde von ihm in seinem Magnus Opus Faust verewigt.“ Puh! Da weiß man, woher es kommt, und findet es wider besseren Wissens überzeugend. Aber ich will allein deshalb KI auch nicht verteufeln. Du auch nicht, oder?

Im medizinischen oder technischen Bereich bin ich durchaus ein Befürworter von KIs, im künstlerischen oder im Bereich Bildung hingegen nicht.

Wie stehst du dann zum Werksbegriff?

Ob eine KI ein eigenes Werk erschaffen kann? Noch nicht. Aktuell greifen KIs auf einen Pool an Informationen zurück, auf von Menschen geschaffene Werke. Daraus bauen die sich dann ein eigenes „Werk“ zusammen, das aus Bruchstücken von bereits geschaffenem besteht.

Damit würden sie mangels schöpferischer Leistung gerade den Werksbegriff nicht erfüllen. Das liegt aber daran, dass sie ohne schöpferischen Willen arbeitet. Ein Lego-Tüftler ist ja durchaus kreativ, auch wenn er nur mit genormten Legosteinchen arbeitet. Wo ziehst du da die Grenze?

Kann eine KI Emotionen, Empfindungen abbilden? Nein. Nicht heute. Hier sehe ich die menschlichen Gedankenmuster als zu komplex an. Ein Mensch reagiert extrem auf äußere Einflüsse, wird durch seine Erinnerungen und Erlebnisse geformt. Beides fehlt einer KI. Sie müsste in der Lage sein, ein komplettes Leben zu generieren, mit all seinen Unabwägbarkeiten in den Grenzen eines unzulänglichen Körpers, um Emotionen abbilden zu können.

Hm… interessanter Ansatz. Von der Seite hatten wir das noch nicht. Viele Kolleginnen und Kollegen ziehen auch bei der Emotion die Grenze, aber du bist der erste, der die fehlende Emotion so begründet. Ist aber plausibel, für mich. Ich denke, dass Kreativität das Risiko von Fehlern akzeptieren muss. Eine Kuh macht Muh, viele Kühe machen Mühe – solche vermeintlich simplen Wortspiele funktionieren ja nur, wenn man ums Eck, also bewusst mal in eine falsche Richtung denkt, um dann auf Umwegen wieder bei neuem Sinn rauszukommen. Mal sehen was die Zukunft bringt.

In meinen Cyberpunk-Romanen sind KIs natürlich schon weiter entwickelt und werden als Entitäten, als Lebensformen eingestuft – auch rechtlich gesehen. KIs dürfen Beziehungen eingehen und mehr. Es werden künstliche Körper geschaffen, um KIs in sich aufzunehmen. Die aktuelle Entwicklung schreitet schnell voran und ist sehr spannend für mich, da ich wissen will, ob das eines Tages möglich sein wird.

Bis uns die KI dann auf der Nase herumtanzt …

Aber lassen wir aktuell SkyNet besser mal ausgeschaltet (lacht).

Brrr. Bitte!

Was für ein geiles Schlusswort. Lieber Mario, es war wie erwartet sehr spannend bei dir. Lass uns jetzt aber aus dem Cube abhauen und wieder in die normale Welt eintauchen, ich habe Hunger! An dieser Stelle aber noch vielen Dank für den Ausflug und die klugen Worte und viel Erfolg im weiteren Wettbewerb!

Nur eine Frage habe ich noch:

Welche Frage sollen wir dir nächstes Jahr im Interview stellen?

Träumen Androiden tatsächlich von elektrischen Schafen?

Darauf kann es dann aber nur eine Antwort geben: 42. 

Autoreninterview Mario H. SteinmetzMehr von M.H. Steinmetz

Wir haben aber mit Mario auch schon geplaudert, z.B. über Dystopien, Fieberschreiben, Buchträume, Traumbücher, Gin und Wahnsinn (weiterlesen).

 

 

Skoutz-Lesetipp

Wer ist Jack the Ripper – Horror-Spielbuch von Mario Steinmetz

September 1888.
Eine blutige Mordserie versetzt London in Angst und Schrecken. Ein Phantom streift durch die nebligen Gassen von Whitechapel und schlachtet auf grausamste Weise Straßenmädchen ab. Vermutungen über den Täter gibt es viele, doch die Polizei tappt im Dunkeln. Noch …

In diesem interaktiven Horror-Roman begibst Du Dich auf die Suche nach dem Mörder. Doch Vorsicht ist geboten, denn in Whitechapel geht das Böse um und du kannst niemandem trauen! Durchstreife auf der Suche nach der Wahrheit verräucherte Opiumhöhlen, dreckige Bordelle und heruntergekommene Tavernen. Stelle zwielichtigen Gestalten die richtigen Fragen und sammle Indizien, um die Schlinge um den Hals des Monsters enger zu ziehen. Doch sei auf der Hut, damit es nicht dein Kopf ist, der am Galgen endet …

Blutiger Spielbuch-Krimi aus der Feder von „Death Asylum“ Autor M.H. Steinmetz

Skoutz meint:  Das Abenteuer „Spielbuch“ ist ja nicht jedermanns Sache, aber wer es einmal versuchen möchte, ganz wortwörtlich in einem Buch eine Rolle zu spielen und mittendrin dabei zu sein, der ist bei M.H. Steinmetz auf jeden Fall gut aufgehoben. Der Autor steht für atmosphärisch geniale Sets, glaubwürdige Figuren, spannende Twists und logischen Lösungen. Das alles auf handwerklich hohem Niveau und mit der nötigen Expertise, um auch diese besondere Erzählform für seine Fans perfekt aufzubereiten! (kn)

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Hinweis:

Wie schon erwähnt, steht M.H. Steinmetz mit seinem Cyberpunk-Roman Shinigami auf der Midlist Science Fiction des Skoutz-Awards und geht damit ins Rennen um die begehrte Trophäe.

Wir haben die spannende und wendungsreiche Geschichte mit vielen Verbeugungen vor den Großen des Genres und überraschenden Bezügen zu unserer Zeit schon gelesen und euch hier vorgestellt.

 

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