Heute besuchen der Skoutz-Kauz und ich die Autorin und weitgereiste Journalistin Martina Kempff. Als ehemalige Redakteurin namhafter Zeitungen widmet sie sich inzwischen hauptberuflich dem Schreiben von Historienbüchern und Krimis. Ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt, wohin uns unser Gespräch führen wird. Mal sehen. Zu Besuch bei Martina Kempff, die Schreiben wie Alchemie betreibt Liebe Martina, vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Wir freuen uns sehr auf dieses Gespräch und sind gespannt, was du uns auf ein paar Fragen antworten wirst. Lass uns gleich anfangen! Wie würdest du dich in einem Wort beschreiben? suchend Das ist eine sehr spannende Beschreibung. Bringt mich automatisch ins Grübeln – und zur zweiten Frage! Was macht dir an deinem Job als Autor am meisten Spaß? Das Ausschlafen, natürlich. Na endlich! Mal ein Nachtautor! Ich hatte schon Sorge, ich bin umringt von Frühaufstehern. Mila Olsen oder Anja Marschall … die betonen alle, dass sie morgens am besten arbeiten können. Ich bin froh, wenn ich es ohne Hilfe in die Senkrechte schaffe. Was liebst du noch? Die freie Zeiteinteilung. Und die Eichhörnchenarbeit: Bei historischen Romanen also das Sammeln von überlieferten Ingredienzien, die, angereichert mit Zutaten aus eigener Herstellung ein genussvolles Gesamtkunstwerk ergeben sollen. Da ploppen bei mir automatisch Bilder von Alchemie-Laboren vor dem inneren Auge auf. Der Autor auf der Suche nach dem verborgenen Gold zwischen seinen Worten. Ich mag das Bild! Wonach schmecken deiner Meinung nach deine Bücher dann? Nach dem Umfeld, in dem sie spielen. Die Aromen des Orients und des Frankenreichs prägen z.B. „Die Gabe der Zeichnerin“. Als ich das Buch schrieb, habe ich diverse frühmittelalterliche Rezepte ausprobiert. Ich wollte mir die alte Welt quasi auf der Zunge zergehen lassen – was ich bei meinen kulinarischen Krimis mit der Neuzeit tue. Es bereitet mir immer große Freude, neue Welten in bestehende (meine Eifelkrimis) oder untergegangene (historische Romane) einzubetten und auf unterhaltsame Weise das weiterzugeben, was ich selbst gelernt habe. Und damit ist das Schreiben und Geschichten brauen für dich dann eher Beruf oder Berufung? Ganz klar: Berufung. Und wann bist du der erstmals nachgegangen? Mit sechs. Da habe ich mein erstes Gedicht geschrieben, damals noch auf Englisch: The kite in the sky flies so very high It got caught in the tree I will set it free. Und das hast du heute noch? Nach dem Tod meines Vaters habe ich es in seinem Nachlass wieder entdeckt. Das berührt mich jetzt. Und wie ging die Karriere weiter? Wann hast du dein erstes Buch veröffentlicht? „Die Marketenderin“, Lebensgeschichte meiner Urururgroßmutter, die 1812 mit Napoleons Truppen den fatalen Feldzug nach Moskau mitgemacht hat, ist 1998 erschienen. Echt? Das ist ja toll! Also nicht nur auf den Spuren vergangener Zeiten, sondern deiner eigenen Herkunft. Eine sehr gute Freundin von mir ist Schneiderin historischer Gewänder und mischt obendrein bei einer Reenactment-Gruppe mit, die sich mit der Napoleonik befasst. Ich glaube, ich habe ein tolles Geburtstagsgeschenk für sie. 🙂 Und wie lange hast du dafür gebraucht? Weitbrecht, der erste Verleger des Buchs (es ist seitdem von fünf Verlagen übernommen worden: Knaur, Piper, Weltbild, Ammianus und seit diesem April als E-Book bei Aufbau) hat mir damals verboten, zu sagen, dass ich es in nur sechs Wochen fertiggestellt habe. Das ist aber auch echt für einen historischen Roman verdammt flott! Das kann ich heute selbst kaum glauben, habe ich doch z.B. an „Die Gabe der Zeichnerin“ zwei Jahre lang gearbeitet. Aber damals, nach jahrzehntelangem vergeblichem Bemühen, einen Verlag für diverse fertig geschriebene Werke zu finden – ich war immerhin schon 47 – war ich von der Zusage derartig euphorisiert, dass ich wie in einem Rausch geschrieben habe, tatsächlich Tag und Nacht. Und wenn ich dann doch mal schlafen musste, bin ich nicht in meine eigenen Träume, sondern in die meiner Urururgroßmutter eingestiegen. Es hat sich gelohnt: das Buch wurde ein Bestseller und ich endlich Schriftstellerin. Aber einen solchen Gewaltmarsch habe ich nie wieder gemacht. Trotzdem toll. Unser Skoutz-Kauz ist ganz vernarrt in diese Geschichten zu den Geschichten. Vielen Dank, dass du uns daran teilhaben lässt. Und nachdem du jetzt also Schriftstellerin geworden bist, wie ist das so? Heute nicht mehr so wie in meinen ersten sehr produktiven Jahren: Da habe ich schon mal in einem Jahr zwei Bücher geschrieben und zwei übersetzt. Heute gebe ich mich nicht mehr so schnell mit meinen Formulierungen zufrieden. Das Alter schützt vor Lernen nicht. Das ist doch toll. Ich finde nichts schlimmer, als Menschen, die ihre Neugier und ihr Interesse verlieren. Wie läuft ein typischer Tag als Autor bei dir ab? Jeder Tag ist anders. Dann erzähl mal. Es kann vorkommen, dass ich wochenlang nichts schreibe und dann ganz plötzlich wieder loslege. Ich bin eine Nachteule, und die besten Ideen kommen mir nachts, wenn um mich herum alles still ist und ich keine ungeputzten Fenster, Wollmäuse unterm Bücherregal, vollgestellte Spülbecken, verwahrloste Blumenbeete oder ungemähte Rasenflächen sehe – also lauter Dinge, die zum Schreibenvermeiden beitragen. Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Ich bin da ja ähnlich. Nachts, so zwischen 1 und 4, das sind die Seelenstunden, die Essenz des Tages, in der offenbar ganz andere Kreativpartikel in der Luft schweben als untertags. Da heißt man die guten und bösen Geister willkommen und lädt sie auf ein Glas Wein ein … Aber das klingt ja alles eher gemütlich bei dir … Wenn ich allerdings in Fahrt bin, lasse ich mich nicht bremsen. Ich muss dann einen Wecker stellen, damit ich alle paar Stunden daran denke, mal aufzustehen und meinen müden Rücken zu strecken. Ja, das solltest du! Arbeitsplatzsicherheit und Gesundheit sind bei Autoren in der Regel ja eigenverantwortlich zu organisieren. Gesundheit ist gleich ein gutes Stichwort … Wie sehr beeinflusst Corona deinen Schreiballtag? Zunächst einmal habe ich schweren Herzens sämtliche Lesungen für dieses Jahr abgesagt, da ich einer Risikogruppe angehöre. Der Wegfall von Lesungen ist kein Einzelschicksal und wird von vielen Autoren beklagt. Speziell von jenen, für die Lesungen ein fester Einkommensbestandteil waren, wie z.B. Tim Boltz. Und sonst? Ansonsten hat sich mein Alltag nicht wesentlich verändert: Ich lebe schon lange recht zurückgezogen auf dem Land. Da trifft einen der Wegfall von solchen sozialen Elementen natürlich härter. Ich fühle mich sehr privilegiert, weil ich mich in meinem zuvor wüst vernachlässigten Garten austoben konnte. Wie war es mit dem Schreiben selbst? Hat sich Corona auf deine Zutatenliste ausgewirkt? Ich bewundere die Kollegen, die in der Lage waren, das Aktuelle auszuschalten und in die Tasten zu hauen. Das konnte und kann ich noch nicht. Den neuen Krimi, den ich bereits angefangen hatte, habe ich zur Seite gelegt. Es erschien mir angesichts unserer neuen Lebenssituation und all der unwirklich erscheinenden echten Nachrichten müßig, mich jetzt in eine fröhliche Geschichte über Mord und Totschlag an der deutsch-belgischen Grenze zu versetzen. Es sollte der letzte Band meiner bislang neunteiligen Eifelkrimi-Kehr-Saga werden. Und wie geht es jetzt weiter? Da ich auch in meinen Krimis historische und aktuelle Begebnisse verarbeite, habe ich vor, irgendwann einmal – vermutlich nächstes Jahr – im 10. Band die Auswirkungen der Corona-Krise auf mein Panoptikum rund um die Gastwirtin Katja Klein zu verarbeiten. Das bietet sich an, da dieses real existierende 60-Seelen-Dörfchen Kehr sowohl zu Belgien als auch zu NRW und Rheinland-Pfalz gehört und die unterschiedlichen Corona-Bestimmungen sehr schräge Auswirkungen hatten. Mal sehen. Mal sehen. Oh, das klingt interessant. Da freuen wir uns drauf. Wenn du schon von deinen Schreibplänen sprichst … Kreativ oder doch eher regeltreu? Bei historischen Romanen halte ich mich streng an gesicherte geschichtliche Überlieferungen. Ich habe jetzt nur die Gabe der Zeichnerin, den Midlist-Titel bisher gelesen. Aber da ich selbst mit einer Geschichte aus der Zeit von Karl, dem Großen, liebäugle, war ich von der Recherchetiefe deines Buchs sehr beeindruckt. Vielen Dank! Ich bin auch stolz darauf, dass mich kaum je jemand eines Fehlers bezichtigt hat und wenn doch, dankbar für die Korrektur, die dann direkt in die nächste Auflage einfließt. Wenn du also das historische Gerüst aufgebaut hast, wie geht es dann weiter? Die Lücken fülle ich mit wildem Fabulieren aus. Von meinen Protagonisten lasse ich mich gern überraschen, auch wenn ich mich immer wieder darüber wundere, wie sie es schaffen, mich in die Irre zu führen. Da will der eine partout kein Buffo sein und kommt ungeplant seriös daher, während eine andere sich einfach weigert, bei Lesern Sympathiepunkte zu sammeln und sich fieser verhält als sie sollte. Oh ja! Der antiautoritär erzogene Prota ist zwar unsäglich anstrengend, aber auch sehr unterhaltsam. Kollege Pascal Wokan meint sogar, anders wäre das Schreiben langweilig. 🙂 Allerdings tummeln sich Pascal und ich in der Fantasy, da ist man nur der Logik, nicht aber äußeren Fakten verpflichtet. Ist es im historischen Umfeld nicht viel schwieriger, so frei zu fabulieren? Es ist eine schöne Herausforderung, sich beim freien Fabulieren streng an die überlieferten Fakten zu halten. Das frühe Mittelalter, das so viele Autoren scheuen, hat mich allerdings gerade wegen der eingeschränkten Quellenlage so begeistert, da konnte ich abenteuerliche Plots entwickeln und gewagte Theorien aufstellen. Letztere spuken gelegentlich auch in Köpfen von Historikern herum, aber „wir dürfen das leider nicht“, wie mir Johannes Fried mal gesagt hat. Ja, da sind Autoren freier, das stimmt. Und wenn es gut läuft, greift ein Historiker die These auf und belegt sie sogar. 🙂 Welches war dein erstes selbstgelesenes Buch? Und hast du es heute noch? Da ich erst mit zehn Jahren deutsch lesen und schreiben gelernt habe, war mein erstes Buch „The Wizard of Oz“. Das ist auch ein wunderschöner Start in die Welt der Bücher! Schade, dass das Buch in Deutschland eher ein Schattendasein führt. Ich habe es bestimmt zehnmal gelesen. Und hast du es noch? Es ist bei einem meiner 38 Umzüge verloren gegangen, aber ich habe es mir vor einigen Jahren wiedergekauft. Wie auch sämtliche Nachfolge-Oz-Bücher. Ich glaube, die gibt es gar nicht auf Deutsch. Nicht, dass ich wüsste 🙂 Und dein erstes Buch auf Deutsch? Mein erstes deutschsprachiges Buch war „Winnetou I“, da war ich elf. Winnetou war auch einer der ersten Helden meiner Buchleidenschaft. Da habe ich schon mit den Kollegen Sascha Dinse und Marion Schinhofen geschwelgt. Das sollten wir vielleicht mal gemeinsam wiederholen. Karl Mays „Von Bagdad nach Stambul“ habe ich übrigens wieder hervorgekramt, als ich „Die Gabe der Zeichnerin“ schrieb. Um mich auf Konstantinopel einzustimmen, auch wenn die Handlung meines Buchs einige Jahrhunderte früher spielt. Bleiben wir bei den Buchhelden … Stell dir vor, du könntest eine beliebige Figur aus einem Buch zum Essen treffen. Was würde passieren? Ich würde mich bei einem guten Glas Falerner Wein – das tranken die damals – gern mit dem Fernhändler Isaak aus meinem Roman „Die Gabe der Zeichnerin“ unterhalten. Oh, den fand ich auch toll. Also Isaak, zum Wein kann ich nichts sagen. Darf ich mit? Worüber würden wir reden? Nicht nur, aber auch, über seine spannenden Reisen, aber vor allem über seine mutmaßliche Begegnung mit dem Kalifen Harun al Rashid. Isaak ist zwar eine historisch verbürgte Gestalt, aber man weiß so gut wie nichts über ihn, außer, dass er den weißen Elefanten aus Bagdad ins Frankenland gebracht haben soll. Auch ein spannendes Unterfangen vermutlich. Von mittelalterlichen Elefantentransporten abgesehen … Auf welche Frage hattest du in letzter Zeit keine Antwort? Wie ist es nur möglich, dass so viele intelligente und mir eigentlich vertraute Personen derzeit so vielen Bauernfängern auf den Leim gehen? Eine Frage, die viele Kollegen umtreibt. Ich trau mich gar nicht zu fragen, aber hast du eine Antwort gefunden? Nein, darauf finde ich einfach keine Antwort. Seufz! Widmen wir uns ganz alltäglichen Dingen … Wie oft schaust du täglich auf dein Handy? Mein uraltes Dampf-Samsung wird nur aktiviert, wenn ich unterwegs bin, also derzeit gar nicht. Und es hat keinen Internetzugang. Das ist exklusiv! 🙂 Allerdings verfüge ich über ein Tablet, mit dem ich morgens Kaffee trinke und das ich nachts vorm Schlafengehen bei einem Glas Wein befrage. Das klingt so glaskugelersatzmäßig! Wie passend zum alchemistischen Schreiben! Was darf in deinem Kühlschrank niemals fehlen? Selbstgezogener Ingwer-Kurkumasud. Das wiederum klingt sehr spannend. Ich bin ja auch ein großer Ingwerfreund. Von daher würde … Zu Besuch bei Martina Kempff weiterlesen
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